Wie sensibilisiert man in kreativwirtschaftlich affinen Studiengängen auf die spätere selbständige und unternehmerische Berufstätigkeit?​

Das Ziel

Die Kultur- und Kreativwirtschaft umfasst diejenigen Branchen, die sich mit künstlerischen, kulturellen und kreativen Produkten und Dienstleistungen befassen. Hierunter fallen u.a. Kunst-, Buch-, Film- und Musikmarkt genauso wie die Gamesindustrie, Design und Architektur. In diesen Branchenzweigen werden kompetente und unternehmerisch-innovative sowie kreative Gründerinnen und Gründer, benötigt. Und hier haben die Hochschulen des Landes Rheinland-Pfalz mit ihren Studiengängen und Ausbildungszielen insbesondere in der späteren beruflichen Anfangsphase eine sehr wichtige Funktion und Bedeutung.

Das Projekt „Creative-Startup-Navigator“ hatte zum Ziel herauszufinden, wie hochschulinterne Formate der Lehre und der Gründungssensibilisierung in den für die Kultur- und Kreativwirtschaft wichtigen Studiengänge ausgestaltet sein sollten, welche und wie viele überhaupt in Rheinland-Pfalz angeboten werden und wie viele Studierende diese besuchen. Darüber hinaus war eine weitere Zielsetzung die Sichtbarmachung der unternehmerischen Relevanz der Gründungs- und Selbständigkeitsrate durch die kreativwirtschaftlich affinen Studiengänge und die daraus resultierenden gesamtwirtschaftlichen Effekte. So sollen künftig alle Studierenden kreativaffiner Studiengänge während ihrer Studienzeit bestmöglich für die Themen Gründung und Unternehmertum sensibilisiert werden.

Das ambitionierte Projekt profitierte von der fachübergreifenden Expertise des iuh – Institut für unternehmerisches Handeln der Hochschule Mainz und baute auf vom iuh bereits durchgeführte Forschungsprojekte zur Kultur- und Kreativwirtschaft in Rheinland-Pfalz auf. Des Weiteren vereinte das Projektteam interdisziplinäre Kompetenzen und mehrere Jahre Erfahrung in den Forschungsgebieten Entrepreneurship, Kultur- und Kreativwirtschaft, Kulturmanagement sowie Wirtschaftspsychologie. Neben dem fachlichen Interesse werden sie von der Passion für Digitales sowie Kunst, Kultur und Gründung angetrieben.

Vorgehen

Innerhalb des Forschungsvorhabens „Creative Startup Navigator“ waren die Aufgaben des ersten Projektjahrs zu ermitteln und zu bewerten, wie Studierende von kreativen Studiengängen auf eine unternehmerische Tätigkeit vorbereitet werden, ob sie mit dem bestehenden Angebot zufrieden sind und welche Relevanz das Thema Unternehmertum für sie hat. So wurde zu Beginn u. a. die Entwicklung der Studiengänge und Studierendenzahl in Rheinland-Pfalz sowie deren Angebote und die Effekte auf die Gründungsrate erfasst. Es erfolgte eine Auflistung der angebotenen Kurse und eine Inhaltsanalyse ebendieser. Darüber hinaus wurde mit dem Aufbau eines Theoriemodells Bezug auf erfolgreiche und wissenschaftlich fundierte Ausgestaltung von Gründungsformaten an Hochschulen spezifisch für die Kultur- und Kreativwirtschaft in Rheinland-Pfalz genommen. Innerhalb der relevanten Studiengänge wurde eine groß angelegte quantitative Studie mithilfe eines Online-Fragebogens durchgeführt, die von rund 400 Teilnehmer:innen ausgefüllt wurde. Durch elf qualitative Interviews wurden die Erkenntnisse aus dem Online-Fragebogen komplementiert und kritisch geprüft.

Das Ziel des zweiten Projektjahrs bestand darin, ein passendes Konzept für die Zielgruppe zu entwickeln. Dafür wurden insgesamt drei Fokusgruppendiskussionen, 47 Expert:innengespräche und eine Workshopreihe mit über 100 Studierenden als Teilnehmer:innen durchgeführt. Zusätzlich wurden über 20 Miro-Boards durch Expert:innen ausgefüllt, in denen sie die zeitliche Abfolge ihrer Gründung beschreiben und hilfreiche Tipps für Gründungsinteressierte geben. Abschließend wurden die Ergebnisse in zwei Expert:innendiskussionen erörtert.

Erkenntnisse

Die Ergebnisse zeigen, dass Themen wie Existenzgründung und Unternehmertum von großer Relevanz für die Studierenden sind. Über die Hälfte der Befragten haben angegeben, dass sie sich selbstständig machen wollen. Des Weiteren haben 90 Prozent angegeben, dass ihnen die Vorstellung Unternehmer:in zu sein, gefällt. Demgegenüber steht die Tatsache, dass 70 Prozent der Studierenden kein für sie konkret passendes Angebot zum Thema Existenzgründung im Studium vorgefunden haben. Eine weitere Erkenntnis ist, dass Studierende durch den Besuch der wenigen gründungsbezogenen Lehrveranstaltungen zwar Motivation schöpfen, ein Unternehmen zu gründen, aber nicht das Gefühl haben, die nötigen Fähigkeiten dazu erlangt zu haben.

Aus den Ergebnissen lässt sich ableiten, dass die Nachfrage nach Veranstaltungen zum Thema Existenzgründung bei den Studierenden vorhanden ist, allerdings sollte das Angebot ausgeweitet und auf ihre Bedürfnisse angepasst werden. Um die Bedürfnisse der Zielgruppe verstehen zu können, wurde in der Studie hinterfragt, welche Auswirkungen die Ausgangslage auf die Studierenden hat. Dabei wurde deutlich, dass sich die Studierenden auf ihrem Weg in die Selbstständigkeit allein gelassen fühlen. Sie befürchten, etwas falsch zu machen. Zudem fühlen sie sich überfordert, da sie vor zahlreichen offenen Fragen stehen. Daraus resultiert das Bedürfnis nach branchenspezifischer Wissensvermittlung auf Augenhöhe durch erfahrene Gründer:innen, um niedrigschwellige Unterstützung zu erhalten. Zusätzlich besteht der Wunsch, dass der Gründungsprozess an digitalem Prozesscharakter gewinnt, um mehr Überschaubarkeit und Flexibilität zu erhalten.

Der digitale Gründungsassistent

Basierend auf allen Erkenntnissen ist das Konzept eines digitalen Gründungsassistenten entstanden. Der Fokus liegt dabei auf der Bereitstellung von branchenspezifischen und der aktuellen Gründungsphase entsprechenden Informationen sowie Hilfestellungen und Anlaufstellen als auch der Digitalisierung des Gründungsprozesses. So soll aktiv Unterstützung für Gründungsinteressierte geboten und gewährleistet werden, um die Abneigung gegen das Thema zu mindern, in dem die Studierenden an die Hand genommen werden und sich nicht eigenständig ohne Hilfe in das Thema einarbeiten können. Zusätzlich werden auch Personen, die zufällig auf die Seite stoßen oder in einer Vorlesung davon gehört haben, durch den niedrigschwelligen Ansatz abgeholt und können auf diese Weise Interesse für den Karriereweg der Gründung entwickeln.

Visuelle Gestaltung: Silja Buhl

 Um möglichst individuelle Hilfestellungen geben zu können, wird auf der Plattform des Gründungsassistenten zunächst ein spielerischer Einstiegstest durchlaufen. Nachdem die Branche angegeben wurde, beinhaltet der Test weitere Fragen zu sieben identifizierten Themenfeldern, um niederschwellige Anstöße zum Treffen von notwendigen Entscheidungen zu geben. Die jeweiligen Antworten sind insbesondere für den Algorithmus wichtig, der die Informationsflut zu dem Thema für die Gründungsinteressierten filtert und so nur die für die Person relevanten Inhalte und Informationen angezeigt werden. Das Testergebnis ist ein individuelles Dashboard, auf dem zu sehen ist, wie weit der Gründungsgedanke bisher ausgereift ist. Als Unterstützung für die Beantwortung der offenen Fragen werden Hinweise für Anlaufstellen und Ansprechpartner vermittelt. Das soll dazu führen, dass die Gründungsinteressierten wissen, welche Fragen sie sich noch stellen müssen und wo sie Hilfe dafür finden können.

 

Visuelle Gestaltung: Silja Buhl

Darüber hinaus sind konkrete Matchingformate vorhanden, bei denen sich Gründungsinteressierte mit Gleichgesinnten oder mit erfahrenen Gründer:innen als Mentor:innen austauschen können. Der Austausch führt dazu, dass die Gründungsinteressierten über ihre Ängste sprechen, an den Erfahrungen anderer teilhaben und lernen, Informationen austauschen und sich zusammenfinden können. Für diejenigen, die sich für eine Gründung entscheiden, werden individuelle Checklisten bereitgestellt, die zur Motivation beitragen, aber auch einen Überblick geben sollen, welche Aktionen notwendig sind, um eine Gründung umzusetzen.

Das Konzept der Plattform als digitaler Gründungsassistent ist somit wortwörtlich und angewandt als beispielhaftes Format eines „Creative Startup Navigator“ zu verstehen. Hierbei soll exemplarisch verdeutlicht werden, wie die Gründungssensibilisierung aussehen müsste und wie die Zielgruppe der kreativen Studierenden anzusprechen sind. Eine solche Plattform könnte als Grundlage dienen, um eine einheitliche Qualität der angebotenen Lehrveranstaltungen zum Thema Gründung in diesem komplexen Umfeld zu sichern, in dem innerhalb eines Kursformates die Umsetzung einer fiktiven Gründung erarbeitet wird. Das führt zum Aufbruch der traditionellen Lehrmethoden, sichert die Branchenspezifikation und schafft Praxisbezug.

Das Ergebnis dieser Entwicklung wurde auf dem Abschlussevent, dem Creative Entrepreneurship Day 2, in Form eines interaktiven Prototyps „Creative Startup Navigator“ am 14. Juli 2022 vorgestellt.